50 CHEMIE & TECHNIK chemiereport.at AustrianLifeSciences 2023.5 „Vorausschauende Wartung muss das Potenzial der Sensordaten nutzen“ Einige Fragen an Clemens Zehetner, Prokurist und Leiter Marketing von Endress+Hauser Österreich CR: Endress+Hauser hat mit Netilion eine Platform und darauf aufbauende Applikationen entwickelt, mit denen es möglich ist, über den reinen Messwert hinausgehende Daten, die Messgeräte liefern, zu verwerten. Wie hat sich dieses Angebot in den letzten Jahren weiterentwickelt? Prinzipiell wird das System agil entwickelt, d. h. alle zwei Wochen können neue Features zu den einzelnen Apps dazukommen. Neti- lion Analytics bietet einen Überblick über alle verbauten Messgeräte, Netilion Health wurde in Verbindung mit der Heartbeat-Technologie der Sensoren zu einem Werkzeug für die digitale Wartung ausge- baut. Netilion Value ist dann interessant, wenn nicht alle Messgeräte ans Leitsystem angebunden sind, z. B., weil sie Behälter überwachen, die auf verschiedene Standorte verteilt sind CR: Wären solche Lösungen nicht auch eine gute Grundlage für das immer wieder propagierte Geschäftsmodell „Chemicals as a Service“? Genau das leistet die Technologie: Der Kunde hat jederzeit einen Über- blick, wie voll ein Tank ist, egal wo sich dieser befindet. Wir haben bereits einen Referenzfall mit einem Kunden aus der Baustoffindustrie. CR: Gibt es bei den Kunden noch Vorbehalte gegen solche Cloud-basierten Lösungen? Wir haben mit vielen Betrieben gesprochen. Manche sagen uns: An Cloud-Lösungen werden wir früher oder später nicht vorbeikommen. Aber Edge Devices kommen noch gar nicht infrage. Aber wenn man sich in Richtung vorausschauender Wartung bewegen will, wird man das Potenzial der Sensordaten nützen. CR: Kann man Netilion Dienstleistungen auch ohne Cloud-Zugang in Anspruch nehmen? Wenn ein Kunde die Datenhaltung im eigenen Haus haben will und er die Datenübertragung in die Steuerung übernehmen kann (z. B. bei einem Automatisierungssystem, das auf OPC UA beruht), wäre das schon möglich. Aber die Nutzung der von uns angebotenen Apps ist von der Cloud-Anbindung abhängig. Besonders interessant wird das mit dem Entwickler-Portal Netilion API (Application Programmable Interface), mit dem man die Einbindung der auf Netilion verfügbaren Daten in eine Applikation selbst entwickeln oder in Auftrag geben kann. CR: Endress+Hauser hat sich stark bei der Entwicklung von Ethernet APL engagiert. Welche Vorteile bringt diese Kommu- nikationstechnologie dem Nutzer? Die zusätzliche physikalische Schicht, die hier geschaffen wurde, basierte auf Twisted-Pair-Leitungen, mit denen eine Übertragung mit 10 Mbit/s bis hinunter auf die Feldebene und in explosionsgeschützte Bereiche möglich ist. So viele Daten, wie etwa unsere Heartbeat- Technologie erzeugt, bekomme ich nicht über die 4…20-mA-Leitun- gen, die man bei HART verwendet. Da ein ganzes Firmenkonsortium beteiligt ist, gibt es auch schon ein ganzes Portfolio an Feldgeräten, etwa Ventile und Frequenzumrichter. auf der untersten Ebene der klassischen Automatisierungs- pyramide, der Feldebene: Viele der in den Messgeräten von En- dress+Hauser verbauten Sensoren liefern nicht nur das eigentliche Messsignal, sondern auch Parameter, mit denen unerwünschte Einflüsse auf Messleistung und Produktionsprozesse frühzeitig er- kannt werden können. Mithilfe der „Heartbeat-Technologie“, mit der die meisten Sensoren des Unternehmens ausgestattet sind, werden Daten für eine permanente Prozess- und Gerätediagnose gesammelt, Dokumente für die Verifizierung des unterbrechungs- freien Funktionierens der Messgeräte erstellt und Informationen für Prozessoptimierung und vorausschauende Wartung zur Ver- fügung gestellt. Dazu kommen die „TrustSens“-Technologie zur Selbstkalibrierung von Temperaturfühlern und die „Memosens“- Funktionalität, die Messwerte von Sensoren der Flüssigkeitsana- lyse direkt im Sensorkopf digitalisiert. All diese Technologien las- sen Sensoren zu „Smart Sensors“ werden, die in einem „Industrial Internet of Things“ (IIoT) eine entsprechende Rolle spielen können. Deine Daten, meine Daten – die Cloud-basierte Plattform Die Vision des IIoT ist, dass physische Geräte und virtuelle Ab- bilder von solchen miteinander über standardisierte Protokolle vernetzt sind, wie man das von den Rechnern im Internet kennt. Auf dem Weg dorthin sind freilich noch einige Hindernisse zu überwinden. Noch müssen Zusatzinformationen, die von Sen- soren geliefert werden, in den meisten Fällen von Instandhal- tungsmitarbeitern vor Ort ausgelesen werden. Daten, die über die Messwerte hinausgehen, über die Prozessanlage selbst ein- zuspielen und dem User zur Verfügung zu stellen, ist aufwendig und heikel. Endress+Hauser hat daher eine Möglichkeit geschaf- fen, eine von der Anlagensteuerung unabhängige Verbindung der Feldgeräte zu einer übergeordneten Plattform zu schaffen. Mit diesem Schritt bietet man neue Möglichkeiten für die über der Feldebene liegende Ebene der Konnektivität. Schon seit lan- gem sind Geräte von Endress+Hauser mit zahlreichen Schnitt- stellen für die digitale Kommunikation ausgestattet (HART, Profibus, Profinet). Mit dem Adapter „FieldPort SWA50“, der HART-Signale in kabellose Signale umwandelt, eröffnete man einen unabhängigen weiteren Kanal nach dem Konzept der „Na- mur Open Architecture“ (NOA). Über Edge Devices und Gateways können diese Daten direkt auf externe Datenserver (also „in die Cloud“) übertragen werden. Diese Formen der Konnektivität machen das möglich, was sich eine weitere Stufe weiter oben, auf der Leit- oder Management- ebene abspielt. Schon seit längerem hat das Unternehmen Doku- mente, die mit den Messgeräten in Zusammenhang stehen (Zer- tifikate, Betriebsanleitung, Verfügbarkeit von Ersatzteilen), über das Web-Portal W@M zugänglich gemacht. Um diese mit den Da- ten zu kombinieren, die von den Messgeräten der Kunden über- mittelt werden, wurde vor einigen Jahren die Plattform Netilion geschaffen, die einen Nutzen stiften kann, der der Vision von IIoT schon recht nahekommt. Und darauf setzt wiederum eine ganze Reihe an Applikationen auf, die die Ebene der Mensch-Maschine- Schnittstelle bespielen und Daten nutzergerecht zur Verfügung stellen (siehe Interview mit Clemens Zehetner). Dass das Familienunternehmen für die zukünftigen Anfor- derungen gut aufgestellt ist, zeigt auch die jüngste Entwicklung. Ethernet ist heute auch in industriellen Umgebungen zu einem breit verwendeten Standard für die Datenübertragung geworden, mit dem Kommunikationssignale und Strom zugleich übertragen werden können. Um dies auch bis auf die Feldebene zu bringen, hat ein internationales Firmenkonsortium Ethernet APL („Advan- ced Physical Layer“) entwickelt, an dem Endress+Hauser feder- führend beteiligt ist. Vor kurzem konnten erfolgreich Lasttests mit Komponenten verschiedener Hersteller simuliert werden.