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Dass das Immunsystem Fremdkörper attackiert (im Bild), ist nicht immer erwünscht – etwa wenn man Medikamente transportieren will.

Foto: Picturedesk/Westend61/Spectral

Wien – Das Immunsystem des Körpers lässt sich Fremdkörper, und seien sie auch noch so klein, nicht einfach unterjubeln. Innerhalb von Sekunden werden diese angegriffen und, wenn möglich, sofort zerstört und ausgeschieden. Doch manchmal wäre es sehr hilfreich, Fremdkörper an der Körperpolizei vorbeischmuggeln zu können. Zum Beispiel um Kontrastmittel oder Medikamente punktgenau an ein bestimmtes Körpergewebe transportieren zu können.

Der schwedische Forscher Erik Reimhult, der das Institut für biologisch inspirierte Materialien an der Universität für Bodenkultur in Wien leitet, hat dafür eine sehr effiziente Methode entwickelt, die auf Erkenntnissen der Nanotechnologie basiert. Der Physiker und Materialwissenschafter nutzt dafür die physikalischen Eigenschaften und Wechselwirkungen von Atomen und Molekülen so aus, dass er daraus neue, synthetische Materialien bauen kann, die als dreidimensionale "Hüllen" dienen, in die Fremdkörper eingepackt und für den menschlichen Körper unsichtbar transportiert werden können.

Zellmembran mit Haaren

Damit nicht genug, kann der Physiker diese Transporterhülle auch noch kontrolliert ansteuern, sodass diese selbsttätig ihren Weg zu bestimmten Körperstellen findet und dort ihr Inhalt – Fremdkörper verschiedenster Art – entweder aktiviert oder "entladen" werden kann. Um ein Krebsmedikament beispielsweise punktgenau zu einem Tumor zu befördern, ohne in anderen Körpergeweben Schaden anrichten zu können, "rührt" Reimhult das (flüssige) Krebsmittel mit dem von ihm entwickelten Material an, das sich augenblicklich um alle Medikamentenmoleküle hüllt. Diese Mischung kann in die Blutbahn injiziert werden, und die Wirkung des Krebsmedikamentes wird so lange blockiert, bis es beim Tumor angekommen ist.

Die synthetische Transporterhülle ist dabei mit einem Fetttropfen im Wasser vergleichbar. "So wie beim Anrühren einer Vinaigrette Senf und Pfeffer die Öltropfen von Wasser separieren, schützen die Bestandteile dieser Hülle das Krebsmedikament, das in winzigen Öltropfen schwimmt", sagt Reimhult. Die synthetische Hülle funktioniert wie eine Zellmembran und besitzt eine Vielzahl an "Haaren", die aus Polymeren bestehen. Experten sprechen dabei auch von einer "Polymerbürste".

Punktgenaue Anwendung

Um das Medikament punktgenau zum Tumor zu leiten, hängt Reimhult an die Haare der Polymerbürste tumorspezifische Proteinmoleküle an, die wie Antennen wirken und nur an Tumorgewebe andocken können. Wie aber das Krebsmedikament vor Ort zum Einsatz bringen? Schließlich ist es, überzogen von der synthetischen Transporterhülle, wirkungslos. Dafür wendet Reimhult einen besonderen Trick an: Er mischt in das synthetische Hüllmaterial winzige Eisenoxidpartikel in Nanogröße mit ein.

Diese sind, anders als ihre großen Verwandten, nicht permanent magnetisch, sondern nur dann, wenn man sie einem Magnetfeld aussetzt. Mit diesen Eisenoxidpartikeln – ihre Größe beträgt wenige Millionstelmillimeter – lässt sich die Durchlässigkeit der Transportermembran gezielt ansteuern: Solange kein Magnetfeld angelegt ist, bleibt das Krebsmedikament in der Transporterhülle. Wird sie aber einem Magnetfeld ausgesetzt, werden die Eisenoxid-Nanopartikel magnetisiert und öffnen winzige Membranporen. So kann das sich Krebsmedikament genau am Tumor und wohldosiert, je nach Bedarf, entfalten.

Tierversuche noch ausständig

Wann diese Grundlagenforschungsergebnisse – hervorgegangen aus einem ERC-Grant – klinisch angewendet werden können, ist noch unklar. Auch wenn Reimhult zeigen konnte, dass das patentierte Prinzip funktioniert, und Kliniker im Wiener AKH großes Interesse zeigen, ist ein Einsatz bei Krebspatienten derzeit nicht möglich. "Noch sind Tierversuche ausständig", sagt Reimhult.

Indes könnte das "Anrühren" synthetischen Materials für den Transport von Nanopartikeln aber bereits in einem auf den ersten Blick völlig anderen Bereich weit schneller eingesetzt werden. Denn mit Reimhults Methode ließen sich nämlich auch die Eigenschaften von Kunststoffen auf bisher nicht bekannte Art und Weise verändern.

So können in Kunststoffe Nanopartikel gezielt eingebaut werden, ohne zu klumpen. Damit lassen sich beispielsweise die optischen Eigenschaften von Kunststoffen so ändern, dass sich mit ihnen Licht ohne Verluste leiten, färben und streuen lässt oder auch andere Kunststoffeigenschaften, ähnlich wie mit wesentlich teureren Metallschichten, erzeugt werden können.

Pläne für Spin-offs

"Wir können so Materialien mit neuen Eigenschaften produzieren, die Energie sparen und die Umwelt schonen", sagt Reimhult. Über die Technologieverwertungsagentur Tecnet hat der Grundlagenforscher mittlerweile etliche Anfragen von internationalen Kunststoffproduzenten erhalten.

Jetzt werden in seiner Gruppe Pläne gewälzt, inwieweit die Ergebnisse in neu zu gründenden Spin-offs anwendungsorientiert weiterentwickelt werden könnten. Die Forscher schließen eine Firmengründung nicht aus, aber Reimhult selbst wird kein Spin-off leiten: "Einige Postdocs aus meiner Gruppe sind sehr interessiert. Mein Herz aber gehört der Grundlagenforschung." (Norbert Regitnig-Tillian, 5.2.2017)