Kranke Gebäude: Frische Luft zum Atmen

Pflanzen können in Räumen für das optimale Klima sorgen. Sie tragen zur Luftreinigung bei – und tun der Psyche gut.
Pflanzen können in Räumen für das optimale Klima sorgen. Sie tragen zur Luftreinigung bei – und tun der Psyche gut.Gallo Images / Camera Press / picturedesk.com
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Über 90 Prozent unserer Lebenszeit verbringen wir in Innenräumen. Warum gesunde Raumluft so wichtig für das Wohlbefinden ist und welche Rolle dabei die sogenannte Großmutterpflanzenliebe spielen kann.

Staub, Zigarettenrauch, Bakterien, Schimmel, Schadstoffe – Raumluft ist oft um ein Vielfaches stärker belastet als die Außenluft. Von ihr veratmet der Mensch im Lauf seines Lebens rund 600 Tonnen, denn den Großteil verbringt er drinnen, etwa im Büro oder in den eigenen vier Wänden.

Wenn man Trendvorhersagen aus dem Internet Glauben schenkt, so rückt demnächst genau diese Innenraumluft in den Fokus von Bloggern und einschlägigen Do-it-yourself-Webseiten. Das sogenannte Air Purifying, sprich Luftreinigen, für den Hausgebrauch wird etwa auf Pinterest bereits seit Anfang des Jahres gehypt, der Begriff tausendfach als Schlagwort gesucht. Das ist nicht unerheblich. Was die Nutzer dort auf ihre Pinnwände pinnen, kann Aufschluss über das künftige (Konsum-)Verhalten der breiten Masse geben – und kommende Trends ankündigen.

Welche Pflanzen helfen?

Luftverbesserer. Je nach Standort eignen sich unterschiedliche Zimmerpflanzen, um die Luft im Innenraum zu verbessern. Eine kleine Auswahl von Experten:

Wohnzimmer: Ideal sind hier etwa große Pflanzen wie Klimme (Cissus), Fikus (Ficus binnendijkii) und Arecapalme (Chrysalidocarpus).

Schlafzimmer: Hier eignen sich Pflanzen, die einen kühlen und dunkleren Standort bevorzugen, wie Orchideen oder Bogenhanf (Sansevieria).

Küche: Die Küche ist ein guter Standort für Küchenkräuter oder Pflanzen, die blühen, etwa Flamingoblume (Anthurium), Flammendes Käthchen (Kalanchoe) und Begonien.

Bad: Aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit und Wärme eignen sich für das Bad viele exotische Pflanzen wie Zypergras (Cyperus), Tillandsien, Farne und Bromelien.

Büro: Am Arbeitsplatz sollten robuste, große Pflanzen stehen, etwa der Drachenbaum (Dracaena), Schefflera und Baumfreund (Philodendron).

Quelle: Umweltberatung, www.umweltberatung.at

Ohnehin ist das Thema eines, das noch mehr an Bedeutung gewinnen wird, wie Experten meinen. „Obwohl sich der Mensch aufgrund der rasch zunehmenden Urbanisierung bereits jetzt schon hauptsächlich drinnen aufhält, zeichnet sich ab, dass sich das Leben in Innenräumen in mittlerer Zukunft weiter verstärken wird: weil es draußen zu kalt oder zu heiß sein wird“, sagt Johannes Balas, Assistenzprofessor und Experte für Innenraumbegrünung an der Boku Wien. Und gerade in Innenräumen ist die Exposition gegenüber schädlichen Stoffen verstärkt.

Chemikalien in der Luft

Häufige Quellen der Raumluftbelastung sind etwa Teppiche, Möbel und Böden, aus denen Chemikalien wie Flammschutzmittel oder Harze, die Formaldehyd abspalten, austreten. Dazu zählen auch Phthalate, Kunststoffweichmacher, die hormonwirksam sind. Raumfarben, Baumaterialien oder Reinigungsprodukte weisen oft hohe Schadstoffwerte auf, jegliche Art von Verbrennungsvorgängen im Innenraum durch Kamine, Gasheizungen und -herde – allen voran das Rauchen – verunreinigen ebenfalls die Luft. „Es gibt allerdings nicht nur menschengemachte Schadstoffe, sondern auch solche aus natürlichen Quellen: etwa das radioaktive Edelgas Radon sowie Pollen und Staub, die durch die Außenluft in die Räume kommen “, erklärt Hanns Michael Moshammer, Umweltmediziner an der Medizinischen Universität Wien. All das kann die Gesundheit belasten und in Folge zu Krankheiten wie Asthma, Allergien sowie Hautirritationen und sogar Krebs, Depression oder Unfruchtbarkeit führen.

Die Folge eines ungesunden Raumklimas kann auch das sogenannte Sick-Building-Syndrom sein. Es fasst seit den 1970er-Jahren unspezifische Beschwerden und Symptome zusammen, die beim Aufenthalt in Gebäuden auftreten und nach dem Verlassen rasch nachlassen. Unwohlsein, Mattigkeit, Konzentrationsprobleme oder Schlaflosigkeit zählen zu den eher leichten Beschwerden, im Gegensatz zu Allergien, Immunschwäche, Kopfschmerzen sowie Reizungen der Augen oder Atemwege, die ebenfalls auftreten können. Im Zweifel empfiehlt sich ein Besuch beim Arzt. Denn: „Sobald die Ursache ausgemacht und behoben ist, besteht auch meist kein Sick-Building-Syndrom mehr“, so Moshammer.

Frischluft im Zimmer

Um der Belastung im Innenraum nun im kleinen Rahmen entgegenzuwirken, will man beim Air Purifying auf einfache Do-it-yourself-Lösungen setzen – vor allem auf das Begrünen des Wohnraums mit Pflanzen, die genau das machen sollen: die Luft reinigen. Auf Pinterest etwa finden sich unter der „neuen Lust an Zimmerpflanzen“ mittlerweile unzählige Empfehlungen für „wahre Sauerstoffbomben“, und man erhält einfache Tipps und Tricks für die Pflege der grünen Mitbewohner. Kombiniert man die Suche mit Instagram und den Hashtags #plantsofinstagram oder #plantporn, so findet man genügend Inspirationsquellen, das Ganze auch noch hübsch aussehen zu lassen.

„Zimmerpflanzen können in der Tat unser Raumklima verbessern, weil sie einen Teil der Luft filtern und in einem begrenzten Ausmaß Schadstoffe abbauen können. Allerdings brauchte man für einen wirklich reinigenden Effekt wahrscheinlich einen Dschungel zu Hause“, meint Manuela Lanzinger, Fachberaterin für Umweltbildung und Garten von der Umweltberatung. Viel wichtiger sei es, schon im Vorfeld ökologische Baustoffe zu verwenden sowie bei der Inneneinrichtung auf natürliche, umweltfreundliche Materialien zu setzen. Nach dem Kauf neuer Möbel oder etwa Renovierungsarbeiten hilft nur verstärktes Lüften, um Schadstoffe aus den Räumen zu bekommen. „Generell kann man sagen, dass Lüften das A und O ist. Vor allem im Winter empfiehlt sich Stoßlüften: Drei- bis viermal täglich sollten alle Fenster komplett für zwei bis drei Minuten geöffnet werden“, rät Lanzinger. Damit kommt es zu einem optimalen Luftaustausch, und etwaige Schadstoffe werden regelmäßig abgelüftet.

Von Luftbefeuchtern, auch in der Heizperiode, hält Umweltmediziner Moshammer wenig: „Da habe ich viel zu viele Probleme gesehen, allen voran Schimmelbildung im Wohnraum. Aber diese Geräte schaffen auch einen Nährboden für Bakterien und Keime. Trockene Luft allein ist für den Menschen nicht per se ungesund, nur wenn andere belastende Faktoren dazukommen, können Probleme auftreten. Viel zu trinken ist für den gesunden Menschen bei zu trockener Luft meist ausreichend.“

Immerhin: Bereits drei bis fünf größere Pflanzen bewirken, dass in einem 30 Quadratmeter großen Raum die ideale Luftfeuchtigkeit von 45 bis 55Prozent erreicht wird. „Der wichtigste Grund, warum Zimmerpflanzen zu einem guten Raumklima beitragen, ist allerdings nicht ihre Fähigkeit, die Luftfeuchtigkeit zu erhöhen, sondern ihr positiver Einfluss auf das psychische Wohlbefinden und die Arbeitszufriedenheit“, betont Lanzinger. Sei es die entspannende Wirkung beim Anblick der Pflanzen, die Wissenschaftler nachweisen konnten, sei es die Fürsorge für ein anderes Lebewesen, die guttut – Pflanzen fördern die Gesundheit.

Hegen und pflegen

Gartenbauexperte Balas geht noch einen Schritt weiter und spricht ein weiteres Thema an, wenn es um das Thema Zimmerpflanze geht: „Noch vor nicht allzu langer Zeit waren bürgerliche Wohnungen Standorte für Pflanzen. Die Großeltern lebten in einer jahrelangen, fast symbiotischen Wohngemeinschaft mit ihren Pflanzen, sie wurden umhegt und gepflegt. Ließ damals eine Topfpflanze die Blätter hängen, wurde noch der Gärtner angerufen und um Rat gefragt – heutzutage wird sie meist beim ersten braunen Fleck entsorgt. Wie so vieles zählen Zimmerpflanzen nun zu einem rasch verbrauchten Wegwerfprodukt.“ Ein Beispiel: 70 bis 80 Millionen Weihnachtssterne werden weltweit zu Weihnachten gekauft – zwei Monate später leben von diesen kaum noch welche. „Die frühere Großmutterpflanzenliebe ist heute leider kein Trend, denn derzeit ist alles auf Kurzfristigkeit und den schnellen Genuss ausgelegt. Doch wenn wir wollen, dass Pflanzen im Raum Funktionen für uns erfüllen, sollten wir sie auch in ihrem Leben in diesen Räumen unterstützen.“ Vielleicht wird sie ein neuer Trend, die Liebe zur Großmutterpflanze.

ERSCHIENEN

Ratgeber. In „Prima Klima mit Pflanzen. Wohnräume natürlich entgiften“ werden 40 Zimmerpflanzen sowie ihre luftreinigende Wirkung und Pflege vorgestellt. Auch Menschen mit weniger grünen Daumen können hier passende Pflanzen für Büro, Küche, Wohn- oder Kinderzimmer finden. Ulmer, 128 S., 12,90 €

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2018)

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