Bei der Wiederverwertung von Natur- und Kunstfasern können Enzyme helfen, die die Materialien in ihre Bausteine zerlegen.

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Immer weniger Ressourcen aus der Erde holen, immer mehr wiederverwerten: Eine Kreislaufwirtschaft, die den täglichen Müll als Rohstoffquelle sieht, gilt als eine Vision nachhaltig organisierter Gesellschaften, die negative Einflüsse auf Umwelt und Klima minimieren wollen. In der EU hat man sich etwa das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 65 Prozent des Haushaltsmülls zu recyceln. Eine Marke, die aus heutiger Sicht noch in weiter Ferne erscheint.

An den Technologien, die dieses Ziel erreichbar machen sollen, wird vielerorts gearbeitet. Dabei geht es allerdings nicht nur um die Verfügbarkeit der technologischen Möglichkeiten. Die Recyclingsysteme sollen auch wirtschaftlich mit Primärrohstoffen konkurrieren können.

Verarbeitung zu höherwertigen Produkten

Einer der Ansätze nimmt sich die Abbauprozesse zum Vorbild, die auch in der Natur gang und gäbe sind: Pilze produzieren etwa spezielle Enzyme, um Holz zersetzen und als Nahrungsquelle nutzen zu können. Sie benötigen dabei weder hohe Temperaturen noch hohen Druck, um die Fasern in kleinere Bausteine aufzutrennen.

Im Rahmen des Projekts "InduZymes", das von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) unterstützt wird, arbeiten Wissenschafter der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien gemeinsam mit Forschungs- und Wirtschaftspartnern an der Optimierung der enzymatischen Zerlegung für eine Reihe konkreter Anwendungsfälle.

Ihnen gemein ist, dass aus einem "gemischten Abfallstrom" gezielt bestimmte Stoffe in reiner Form her ausgeholt werden sollen, erklärt Georg Gübitz, Leiter des Departments für Agrarbiotechnologie (IFA) der Boku in Tulln. Der Vorteil: Die auf ihre Grundbausteine reduzierten Materialien können wieder zu höherwertigen Produkten verarbeitet werden. Wiederverwertung muss hier also kein "Downcycling" sein.

Altpapier restlos verwerten

Beispielsweise fällt beim Recycling von Altpapier durch die Entfärbung ein Rest an, der bisher nicht stofflich wiederverwertbar war: ein wässriges Gemisch aus Druckerschwärze und Zellulose. "Wir verwenden spezifische Enzyme, die die darin noch enthaltene Zellulose herausholen und in Glukose verwandeln", erklärt Gübitz.

Die Glukose könnte zu Treibstoffen, Bioplastik oder Grundstoffen für Pharma- oder chemische Industrie weiterverarbeitet werden. Im Projekt "InduZymes" wird die Verbindung aber ähnlich wie bei den Vorbildern in der Natur eingesetzt. Sie dient Pilzen als Nahrung, um wiederum Enzyme zu produzieren. "Unternehmen müssen derartige Enzyme normalerweise teuer einkaufen. Mit unserer Methode können sie sie selbst aus dem Abfallstrom produzieren", erläutert Gübitz die Anwendung.

Die Mikroorganismen benötigen allerdings zusätzlich Stickstoff, der in Zellulose nicht enthalten ist. Die Forscher zapfen deshalb einen weiteren Abfallstrom an – aus der fleischverarbeitenden Industrie. In einem teilweise chemischen, teilweise enzymatischen Prozess werden Proteine zerlegt, um daraus diesen Bestandteil zu extrahieren. Auch die Fleischwirtschaft könnte sich ihre Enzyme selbst aus Reststoffen produzieren, betont Gübitz. Beispielsweise wäre es möglich, mit ihrer Hilfe Fettabfälle zu Biodiesel zu verarbeiten.

Die Fähigkeit, aus einem Materialiengemisch einen bestimmten Stoff herauszuholen, kann auch eine verbesserte Wiederverwertung von Textilien ermöglichen. Der Großteil der Kleidung von der Jean bis zum Anorak besteht aus Mischgeweben – etwa aus Baumwolle, Polyester oder Nylon, die man ohne Hilfe von Enzymen "nie mehr auseinanderkriegen" würde, betont Gübitz.

Textilien zerlegen

Mit ihrer Hilfe könne dagegen ein mehrstufiger Prozess etabliert werden, bei dem etwa zuerst die Baumwolle extrahiert, dann das Polyester und in einem weiteren Schritt das Nylon in ihre jeweiligen Grundbausteine zerlegt wird. Um sie für die verschiedenen Materialien wirksam zu machen, wird die Genetik der Enzyme jeweils so variiert, dass sie unterschiedliche Abbaueigenschaften entfalten.

Noch trennt die Technologie ihr Preis von einem verbreiteten Einsatz in der Industrie, räumt Gübitz ein. Aber nicht in jedem Fall: "Bei höherwertigen Materialien – etwa speziellen brandhemmenden Textilien – rechnet sich die Sache bereits." (Alois Pumhösel, 6.7.2018)